31. Juli 2005
19:43 Schluss mit dem Krieg im Irak! Je länger die Regierung der USA sich weigert, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen, desto anhaltender bleibt die Terrorgefahr - Ein Kommentar der anderen von Jeffrey Sachs Jeffrey Sachs ist Professor für Wirtschaftswissenschaften, Direktor des Earth Institute an der Columbia University und Berater von UN-General- sekretär Kofi Annan. Project Syndicate, 2005; www.project-syndicate.org Je länger die Regierung der USA sich weigert, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen, desto unwahrscheinlicher wird eine Befriedung der Region, desto anhaltender bleibt die Terrorgefahr - und desto mehr schadet das insgesamt den Interessen des eigenen Landes. Jeffrey Sachs ist Professor für Wirtschaftswissenschaften, Direktor des Earth Institute an der Columbia University und Berater von UN-General- sekretär Kofi Annan. Project Syndicate, 2005; www.project-syndicate.org Die Vereinigten Staaten lernen einmal mehr die Grenzen militärischer Macht kennen. Im Irak verfügt Amerika über die uneingeschränkte Lufthoheit, auf dem Boden aber kann es sich nicht behaupten. Seine bloße Gegenwart stachelt die Gewalt an. Während Präsident George W. Bush die Ansicht vertritt, er habe die Amerikaner beschützt, indem er "den Krieg ins Feindesland trug", hat der Irakkrieg bisher mehr als 1700 US-Soldaten das Leben gekostet und zugleich mehrere terroristische Angriffe auf die Verbündeten der USA provoziert. Die grauenvollen Bombenanschläge von London waren vermutlich durch die Koführungsrolle Großbritanniens in diesem Krieg motiviert. Der Fehler der Bush-Regierung liegt natürlich darin, dass sie die Politik im Rahmen ihrer Kriegskalkulationen vernachlässigt oder blind dem geflügelten Wort folgt, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Tatsächlich ist Krieg zumeist ein Versagen der Politik, ein Versagen politischer Fantasie. Aufgrund ihrer Selbstgerechtigkeit und ihres Mangels an historischem und kulturellem Bewusstsein glaubten Bush und seine Berater, dass eine Invasion des Irak einfach sein, Saddam Husseins Armee zerbröckeln und das Land die USA als Befreier willkommen heißen würde. Sie verstanden nicht, dass die Geschichte des Irak eine Geschichte der Besetzungen und Manipulationen von außen ist. Infolgedessen betrachten die Iraker die von Amerika angeführte Besetzung verständlicherweise nur als neuerliche Episode der Ausbeutung von außen. Es wird weithin akzeptiert, dass das Öl, und nicht der Terror, der ursprüngliche Beweggrund für den Krieg war - einen Krieg, der von den Chefberatern von George Bush Senior während der 1990er-Jahre geplant und durch ihre Machtübernahme im Jahr 2001 ermöglicht wurde. Während der 1990er-Jahre machten US-Vizepräsident Dick Cheney und andere deutlich, dass Saddams Herrschaft die Sicherheit der Ölversorgung Amerikas bedrohe, indem sie eine zu große Abhängigkeit von Saudi-Arabien erzwinge. Die enormen Reserven des Irak, so die Argumentation, könnten nicht sicher erschlossen werden, bevor Saddam gestürzt sei. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA gaben ihnen grünes Licht; sie waren nicht die eigentliche Motivation. Kontraproduktiv Die Iraker spüren all dies. Bushs Weigerung, einen Stichtag für einen Truppenabzug festzusetzen, wird nicht als Zeichen der Entschlossenheit aufgefasst, sondern als Absichtserklärung Amerikas, im Irak zu bleiben, ein Marionettenregime zu etablieren, die Ölvorräte des Landes zu kontrollieren und dauerhafte Militärbasen einzurichten. Das wird aber nicht funktionieren. Es gibt schlicht zu viele reale politische Kräfte im Irak, mit denen Amerika fertig werden muss, und diese Kräfte verlangen zunehmend nach einem Zeitplan für einen US-Abzug - so wie Legionen von Irakern dies im Rahmen von öffentlichen Protesten und Gottesdiensten in den Moscheen tun. Jedes Mal, wenn die USA ihre Weigerung zur Festlegung eines Abzugstermins wiederholen - oder sich wie jüngst beim Truppenbesuch Rumsfelds in Bagdad auf vage Andeutungen beschränken -, fördert das nur die politische Opposition - von der Aufstandsbewegung gar nicht zu reden. Es gibt einfach zu viele Iraker, die bereit sind, gegen die US-Soldaten zu kämpfen und dabei zu sterben. Nicht die Waffen, nur die Politik kann die Szene beruhigen. Vietnam ist in dieser Hinsicht ein echter Präzedenzfall. Die Zahl der Toten und Verwundeten bei den Vietnamesen übertraf die der Amerikaner im Verhältnis von vielleicht 20:1; trotzdem konnten die USA den ihnen gegenüberstehenden nationalistischen Feind nicht bezwingen. Sie konnten zwar Vietnams Städte - ähnlich wie die im Irak - in Schutt und Asche bomben, aber damit löst man die Probleme nicht. Ökonomisch falsch Dabei geht es nicht nur um menschliche, sondern auch um ökonomische Aspekte: Die außenpolitische Doktrin Amerikas besagt, dass die nationale Sicherheit der USA auf drei Säulen ruht: Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung. Wirtschaftshilfe gegenüber armen Ländern ist entscheidend, weil Armut den Zunder für Gewalt, Konflikt und sogar Terrorismus bietet. Doch bei den außenpolitischen Ausgaben der USA rangieren Diplomatie und Entwicklung unter ferner liefen hinter der Verteidigung - oder präziser: dem Militär. Die USA werden in diesem Jahr etwa 500 Milliarden Dollar, oder fünf Prozent ihres BIP, für Militärausgaben aufwenden - die Hälfte der weltweiten Ausgaben. Anders ausgedrückt: Die USA geben so viel für Waffen aus wie die übrige Welt zusammen. Im Gegensatz dazu geben die USA gerade einmal 18 Milliarden Dollar, etwa 0,16 % des BIP, für Entwicklungshilfe aus. In Europa dagegen betragen die Militärausgaben etwa 2 % des BIP, währen die Entwicklungshilfe etwa 0,4 % ausmacht - und weiter steigt: 2015 sollen es 0,7 % sein. Wenn die USA statt einer militärischen eine politische Strategie verfolgen würden, würden sie erkennen, dass höhere Entwicklungsausgaben und ein auf Handel ausgerichteter Kurs gegenüber Asien, Afrika und dem Nahen Osten Amerikas Interessen viel wirkungsvoller dienen würden. Es war nicht die Bombardierung Libyens, die Muammar Gaddafi aus der Isolation holte. Es war friedliche Diplomatie, die dies erreichte, indem sie Gaddafi zeigte, dass die Neuaufnahme diplomatischer Beziehungen zum Westen und die Aufgabe von Libyens Atombestrebungen vorteilhaft für seine eigene Zukunft und die seines Landes sein würde. Einfach dumm Hätte man dieselbe Strategie gegenüber Saddam Hussein verfolgt, wäre das wesentlich billiger und effektiver gewesen. Das Gleiche gilt auch für Vietnam: Der Verlust von enormen Summen - und von Millionen von Menschenleben - hätte vermieden werden können, wenn man es gegenüber Ho Chi Minh in den 1950er-Jahren mit Politik statt Bomben versucht hätte. Niemand bezweifelt, dass zur Bekämpfung von Terroristen geheimdienstliche Operationen und Polizeimaßnahmen erforderlich sind. Aber der Krieg im Irak und die enormen Militärausgaben sind etwas völlig anderes. Das amerikanische Militär kann die USA vor einem konventionellen militärischen Angriff schützen, und es kann die Meere offen halten, was den Strom von Öl und anderen lebenswichtigen Rohstoffen ins Land sicherstellt. Aber es kann die USA nicht vor politischer Dummheit schützen. Denn es ist einfach nicht intelligent, in lange missbrauchten Ländern in die Errichtung von Militärstützpunkten statt in friedliche Entwicklung zu investieren. Fazit: Die USA sollten den Irak schnellstens verlassen. Danach können und sollten sie ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht nutzen, um eine komplexe und schwierige Situation zu bewältigen, die sie zwar nicht ausschließlich, aber zum großen Teil selbst herbeigeführt haben. Amerikas Einfluss im Irak wird begrenzt sein, aber ein Abzug zum jetzigen Zeitpunkt würde ihn tatsächlich größer machen, als er es jetzt ist, und die Kosten - sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Verluste von Menschenleben bei Amerikanern, Verbündeten und Irakern - wären erheblich geringer. (Aus dem Englischen von Jan Neumann/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. August Carmen
Moersch
socially engaged economies Kulturpolitik als absurdes
Theater Nun ziehen Österreichs vier politische Gruppierungen ihre präkoalitionären Sonden wieder ein. Schließlich haben sich Grün und Blau treuherzig für eine voraussichtlich abermals verstümmelte Regierungsperiode zur (im Fall der FPÖ sogar schon zweitmaligen) Opferung durch die ÖVP angemeldet. Ein Resümee lässt sich zumindest jetzt schon ziehen: In keinem dieser die Zeit für den Staatsbürger provokant schindenden Palaver wurden Begriffe wie Kultur oder gar Kunst thematisiert. Dieser Umstand ist für das in Österreich vorherrschende politische Grundbewusstsein wohl in höchstem Maße verräterisch, wenn auch keineswegs bedauernswert. Lesen sich doch die Passagen, in denen die Parteien ihre ungelenke Pflichtübung in Kulturpolitik ablegten, eher wie Drohungen denn wie ermutigende Versprechungen. Was ebenfalls kein allzu großes Unglück darstellt. Fragt es sich doch, ob Kulturpolitik in ihrem herkömmlichen Sinn überhaupt das Metier eines Staates ist, in dem Freiheit und Demokratie mehr sein dürfen als zwei substantivische Hilfswörter, die man, wenn einem nichts anderes einfällt, vor sich her sagt. Gesinnungszwang Politik, auch in ihren besten Varianten, hat nämlich immer etwas mit Lenkung zu tun, ohne die sie nicht auskommt. Sie schafft Gesetze, die befolgt werden wollen. Wer gegen diese verstößt, setzt sich ins Unrecht. Übertragen auf Kunst und Kultur führt dieser Mechanismus irgendwann zum ästhetischen und (in seinen schlimmsten Ausformungen in allen faschistischen Regimes) auch persönlichen Gesinnungszwang. Daher ist es kein Wunder, dass es gerade die Diktaturen waren, unter denen Kultur- und Kunstpolitik zur staatstragenden Disziplin aufstiegen. Freilich lässt sich der Kulturbegriff auch anders definieren: "Kultur ist das eigentliche Leben, sie liegt Politik und Wirtschaft im Lokalen und Feuilleton zugrunde und verbindet beide. Kultur ist kein Vorbehaltsgrund für Eingeweihte, sie ist vielmehr unser aller Lebensweise. Sie ist folglich auch die Substanz, um die es in der Politik geht." Wer als Autor dieser Zeilen einen, wenn auch musischen, so doch strammen Roten vermutet, irrt gewaltig: Sie stammen von keinem Schwärzeren, als der CDU-Politiker und einstige Präsident der Deutschen Bundesrepublik, Richard von Weizsäcker, einer ist. Über jeglichen Verdacht pathetisch-romantischer Gleichmacherei erhaben, weist Weizsäckers Sentenz dem, was man Kulturpolitik nennen könnte, gerade die gegenteilige Richtung, in der sie heute verläuft. Sie rät dem politischen Akt zur Kultur und gibt der Politik die Chance, Kunst zu werden. Und indem sie jedem Einzelnen die Möglichkeit und den Auftrag zu Kunst und Kultur erteilt, wird Weizsäcker sogar zum theoretischen Gefährten von Joseph Beuys. So spektakulär ein Kunstwerk nach seiner Fertigstellung auch sein mag, so ist Kunst machen und Kultur auf ganz persönliche Weise verwirklichen ein Werk der Stille, der Geduld und oft des Verzichts. Daher kann der möglicherweise wählerwirksame Megaevent niemals das einzige Ziel und der einzige Nachweis effizienter Kulturpolitik sein. Ebenso wenig, wie es die größte Befriedigung für Künstlerinnen und Künstler sein darf, sich anlässlich diverser Politikeressen zu Tanzbären zu degradieren, die sich herbeipfeifen lassen. Um den Bart gehen Werden im Verlauf dieses absurden kulturpolitischen Theaters doch weniger Sympathie und gegenseitige Wertschätzung signalisiert als inhaltsleerer Publicity-Opportunismus auf beiden Seiten. Bis zu manch bedingungslosem Surrender, mit dem, wie eben in Graz, so genannte Kulturmanager den Wahlsiegern öffentlich um den Bart gehen - frei nach dem Motto: Wer mich fördert, gewinnt bei den Wahlen. Derlei Aktionen sind freilich nicht dazu angetan, das Ansehen, das die Kunstszene auf politischer Seite genießt, besonders zu befördern. Vielmehr wird der seitens der Politik nur zu Repräsentations- und Renommierzwecken missbrauchte, im politischen Bewusstsein jedoch gar nicht existente Bereich von Kunst und Kultur noch weiter ins Out gerückt. Die ganze Verkommenheit des politischen Denkens in Zusammenhang mit Kunst und Kultur lässt sich an der beschämenden Tatsache ablesen, dass die Fertigkeit und die Aussicht, Sponsoren zu keilen, heute eines der maßgeblichen Kriterien für die Bestellung eines Festspiel- , Theater- oder Museumsleiters darstellen. So wird gerade das, was nach Weizsäcker "unser aller Lebensweise" sein sollte und auch "die Substanz, um die es in Politik geht", betteln geschickt. Der ganze Garten Im Gegensatz dazu wurde noch in keinem Land ein Heeresminister vor seiner Ernennung gefragt, ob ihm vielleicht die Firma Nestlé ein paar Panzer sponsert oder ihm der momentan in der Klemme sitzende Herr Vilar gar einen Abfangjäger kauft. Wenn es um das Töten geht, greift man ohne mit der Wimper zu zucken ins Budget. Bei der Förderung von Kunst und Kultur lallt man von Schwerpunkten und von Qualität und begibt sich damit ins Vorfeld des geistigen Terrors. Denn wer allzu gerne Schwerpunkte setzt, schließt allzu viele aus. Daher
ist das wichtigste Gerät, das dem Politiker für die Förderung
von Kunst und Kultur zu Gebote steht, immer noch die Gießkanne.
Denn, um strahlende Blüten zu haben, muss man den ganzen
Garten gießen. Aus diesem Grund sollte diese Gießkanne
ebenso groß und so voll sein, wie jene des Verteidigungsministers.
Denn ein blühender Garten der Kunst will mindestens ebenso
gut gegossen sein wie ein Friedhof oder ein Trümmerfeld.
(DER STANDARD, Printausgabe, 8./9.2.2003) Antwort
auf "Vorschlag zur Güte" [Rau]vom Samstag,
8. Februar 2003, Der Standard
Vorschlag zur Verantwortung - Gleichgewicht der Propaganda, Schrefler An
alle proamerianischen Terrorismustheoretiker, "Richter" und echten Kriegsbefürworter:
Können wir uns auf etwas einigen? Können wir uns
darauf eingen, dass wir es bei George W. Bush mit einem demokratisch
zweifelhaft gewählten, die Menschenrechte missachtet
habenden, die UN-Resolutionen voraussichtlich ignorierenden
grössenwahnsinnigen Führer von ins Hause stehenden
Aggressionskriegen zu tun haben? Der Massenvernichtungswaffen
besitzt, weiter beschaffen will, damit auch handelt und
laut eigenen Worten bereit ist diese einzusetzen? Originalartikel An alle antiamerikanischen, Bush-allergischen Verschwörungstheoretiker, "Friedensforscher" und echten Kriegsgegner: Können wir uns auf etwas einigen? Können wir uns darauf einigen, dass wir es bei Saddam Hussein mit einem Massenmörder, Folterer und größenwahnsinnigen Führer von zwei Aggressionskriegen zu tun haben? Der Massenvernichtungswaffen besitzt, weiter beschaffen will und bereits eingesetzt hat? Können wir uns darauf einigen, dass der Mann 1990 bereits kurz davorstand, die Atombombe zu haben und dass er es weiter versucht? Können wir uns schließlich darauf einigen, dass man auf die Beweise der Amerikaner gar nicht angewiesen ist, um all das zu wissen? Dass wir sie nicht brauchen, um die Fakten über Saddams Grundstruktur zu wissen? Wenn ja, dann können wir darüber diskutieren, ob der Krieg, den Bush jetzt führen will, unbedingt geführt werden muss; ob Saddam auch so "eingedämmt" werden kann (aber schon auch, ob man ihm die Zeit lassen sollte, die Bombe zu bekommen). Oder verplempern wir weiter unsere Zeit damit "nachzuweisen", dass die Amerikaner durch teuflische Fälschungen einen Charaktermord an einem unschuldigen Saddam begangen haben? - Dustin Hoffmans Fragen
an George W. Bush
Aus der Rede bei der Unicef-Gala der Berlinale - Ein Kommentar der anderen Die leicht gekürzte Version der Rede wurde übersetzt von Moritz Schuller ("Der Tagesspiegel", Berlin). Ich stamme aus den 60-ern, der letzte Krieg, den ich bewusst erlebt habe, war der Vietnamkrieg, und was ich jetzt sage, ist, hoffe ich, nicht nur eine Meinung, sondern schlicht Tatsache: Der Vietnamkrieg begann mit einer Lüge. Auslöser war der angebliche Angriff der Nordvietnamesen auf ein Kriegsschiff von uns, das in der Bucht von Tonkin stationiert war. Doch den gab es nie, es war eine Lüge, eine Propagandafabrikation, um mit dem furchtbaren Krieg anzufangen. Möglicherweise wiederholt sich die Geschichte nun. Und so möchte ich wieder Fragen an meine Regierung richten, als Amerikaner, der nicht antiamerikanisch ist. Ich stelle diese Fragen, die bis jetzt, wenn ich mich nicht irre, noch nicht beantwortet wurden, obwohl sie immer und immer wieder gestellt wurden. Wenn es keine unmittelbare Bedrohung gibt, warum marschieren wir dann ein? Nordkorea stellt tatsächlich eine direkte Gefahr dar, indem der Präsident dieses Landes verkündet, er würde uns in kleine Stücke bomben, wenn wir seine Nuklearanlagen angreifen. Trotzdem will meine Regierung lieber mit der norkoreanischen Führung verhandeln. Von dieser geht doch eine viel größere Bedrohung aus als vom Irak, von dem wir sagen, dass er erst in den nächsten zwei oder drei Jahren Atomwaffen besitzen wird. Ich fordere meine Regierung auf, mein Land besser über unsere Außenpolitik zu unterrichten, von der wir möglicherweise zu wenig wissen. Und ich frage meine Regierung, die Saddam den großen Bösen nennt, der er wohl ist: Warum dann haben wir diesem Mann, als wir ihn in der Auseinandersetzung mit dem Iran gut gebrauchen konnten, warum haben wir ihm in demselben Jahr, in dem er befahl, 100.000 Kurden durch Giftgas zu töten, fünf Millionen Dollar gegeben? Und warum haben wir das im folgenden Jahr auf eine Milliarde erhöht? Ich will angesichts dieser Fakten von meiner Regierung wissen: Warum war er nicht damals der große Böse? Ich frage die Regierung meines Landes: Wenn wir angreifen und, wie ich gelesen habe, 30.000 Pfund Bomben in 43 Minuten abwerfen, die die Zivilbevölkerung treffen, wie lange werden wir bleiben? Darauf gibt es keine Antwort. Werden wir Jahre dort bleiben - in einer Zeit, in der es unserer Wirtschaft nicht besonders gut geht? Werden wir das Geld ausgeben, um das Land neu zu strukturieren? Werden wir einen Machthaber installieren? Wir haben keinen besonders guten Ruf, was einige der von uns installierten Herrscher angeht. Pinochet, etwa, in Chile, der Tausende und Tausende in einem Jahrzehnt umgebracht hat. Ihr kennt die anderen. Ich war heute im Jüdischen Museum, und bei einem Computer gab es einen Knopf: Drücken Sie hier, wenn Sie der Meinung sind, dass es etwas im deutschen Charakter gibt, das den Holocaust verursacht hat. Ich haben den Knopf nicht gedrückt, weil mir die Frage nicht gefiel. Seit dem "Genozid" hat eine ganze Zahl an Genoziden stattgefunden: Bosnien, Ruanda - bedeuten 800.000 tote Tutsis Genozid? Abgehackte Hände und Füße? Trotzdem haben wir es zugelassen, aus Angst und Apathie. Seit einiger Zeit erleben wir immer wieder unterschiedliche Formen von Genozid. Was können wir tun? In meiner Heimat haben wir in den Sechzigerjahren einen Präsidenten zum Rücktritt gezwungen, vor allem durch die Studentenproteste. Die Studenten hatten am meisten zu verlieren, sie waren diejenigen, die gestorben sind. Ich habe Söhne, 18 und 21, die kaum glauben können, dass sie die Ersten sind, die werden gehen müssen. Mich fasziniert Macht, die Physik der Macht, und die Paranoia der Macht. Das Bedürfnis nach Macht existiert, weil es ein Ersatz für die Seele ist. Der Dichter Carl Sandburg hat das folgende geschrieben - und das betrifft uns alle: 'Im Wachsen nach oben hat die zarte Blume schon manchen Stein zersplittert und zerborsten.' Gott segne euch alle." (DER STANDARD, Printausgabe, 13.2.2003) |